Bei uns
Spuren der Diskriminierung im urbanen Raum
Hana Usuis Semiotik der Ausgrenzung
„Eine kunstlose Wahrheit über ein Übel, über eine Gemeinheit, ist ein Übel, eine Gemeinheit. Sie muss durch sich selbst wertvoll sein: dann gleicht sie das Übel aus, versöhnt mit der Kränkung, die der Angegriffene erleidet, und mit dem Schmerz darüber, dass es Übel gibt.“ Karl Kraus
Mit „Bei uns“, ihrer ersten Einzelausstellung bei WOP – Works on Paper setzt Hana Usui (geb. 1974, Tokio) die Arbeit zu politischen und sozialkritischen Themen fort, mit der sie 2014 begonnen hat. In den Werken die seitdem entstehen, knüpft sie an ihre langjährige Praxis abstrakter Zeichnung an, sucht aber immer neue Wege und Formen um schwierige Themen, die sie persönlich bewegen, zu reflektieren. Dabei agiert Usui nicht frontal oder bloß dokumentarisch, sondern schafft chiffrierte und kunstvolle Werke, die ihre künstlerische Praxis medial zur Skulptur oder Fotografie hin erweitern.
Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, die Tragödie in Fukushima, die Todesstrafe – und jetzt in der Ausstellung „Bei uns“ auch die alltägliche Diskriminierung – sind keine einfachen Themen. Dennoch schafft es Usui durch ihre persönliche Herangehensweise, uns einen neuen Blick auf sie zu eröffnen. Indem sie vom konkreten Phänomen abstrahiert, gibt sie uns den Raum, den wir brauchen, um uns selbst mit den Themen auseinanderzusetzen.
Diese Subtilität findet sich bereits mit „Bei uns“, dem Titel der Ausstellung, mit der Usui eine Sprachfigur aufgreift, die oft unbedacht verwendet wird. Wenn man zu jemandem sagt „Bei uns…“ und womöglich anschließt mit „macht man das aber anders“, vermittelt man der angesprochenen Person einerseits, dass man sich nicht der gleichen Gruppe zugehörig fühlt wie sie und zweitens, dass man davon ausgeht, dass sie nicht weiß, wie man sich „bei uns“ korrekt verhält. Die Möglichkeit, dass der oder die Sanktionierte bewusst abweichend gehandelt hat, wird negiert. Wie durch den Titel der Ausstellung das scheinbar unschuldige und jedenfalls unscheinbare „bei uns“ in den Brennpunkt kommt, nehmen auch die Werke scheinbar banale Alltagsphänomene in den Fokus. Dabei entwickelt Usui eine Art persönliche Semiotik (also Zeichenlehre) – und vielleicht sogar eine Ästhetik – der Diskriminierung.
Ausgangspunkt der meisten Werke ist eine Spurensuche im urbanen Raum in Usuis Herkunftsland. In jedem der ausgestellten Werke arbeitet sie mit einer Fotografie und einer Ölpause auf semitransparentem Papier. Für die großformatigen Arbeiten wurden zwei Ensembles ein weiteres Mal fotografiert, so dass die zwei Blättern fotografisch fusionieren. Indem die Künstlerin jeweils assoziativ zeichnend und fast spielerisch auf das Thema der desaturierten und entschärften Lichtbilder reagiert, schafft sie Arbeiten, deren Hintergründigkeit nicht nur allegorisch ist. Zunächst erblicken wir rätselhafte Symbole oder Malspuren, die über urbane Szenen aus Asien schweben. Die Fotografien sind auf den ersten Blick vor allem durch ihre Merkmalslosigkeit bemerkenswert. Tatsächlich greift aber jedes Bild eine ganz bestimmte Situation auf, in der Integrationsschwierigkeiten deutlich werden.
Weil sie oft keine Jobs bekommen und von der japanischen Sozialkasse ausgeschlossen werden, bleibt für Koreaner in Japan oft nur der Ausweg einer ungewollten Selbstständigkeit: Sie eröffnen Snackbars, Gemischtwarenläden, Sexshops, Spielhöllen oder werden Taxifahrer*innen. Jede von Usuis Fotografien zeigt Spuren dieser staatlich und gesellschaftlich verhinderter Integration. Gerade, dass es nicht laute Szenen sind, die gleich auf den ersten Blick einen Aufschrei auslösen, macht die Bilder wertvoll. Denn ein Großteil der Diskriminierungen ist nicht laut und sichtbar, sondern so unterschwellig und uneindeutig, dass selbst die, die ihr zum Opfer fallen, oft unsicher sind, ob sie gerade wegen ihrer Herkunft, sexuellen Präferenz oder aus anderen Gründen Ablehnung und Kälte erfahren.
Usui reagiert auf jedes Foto individuell, indem sie einen Aspekt der fotografischen Darstellung aufgreift. Die Fotos von Taxis überlagern Malspuren, die einer Straße ähneln; aus koreanischen und japanischen Schriftzeichen entwickelt sie eine Art abstrakten und unlesbaren Zeichenregen; ein koreanischer Essensverkauf wird mit Essstäbchen oder einem Grillnetz in Verbindung gebracht; die Sexindustrie reflektiert sie mit Formen die Gucklöchern ähneln; runde Formen evozieren das Glücksspiel Pachinko, bei dem Automaten mit kleinen Kügelchen gefüttert werden.
Die Werke sollen auch unseren Blick schärfen für Anzeichen von Diskriminierung in unserem eigenen Umfeld. Dass Usui dabei allerdings nicht pedantisch, didaktisch oder direkt anprangernd verfährt, entspricht einem Ideal, das Karl Kraus explizit zum Grundprinzip seiner Gestaltungsästhetik gemacht hat, wenn er in seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit Missständen stets versuchte, Texte zu schaffen, die nicht nur die Übel anprangern, sondern durch ihre Form gefallen. Die Entscheidung sich den Übeln kunstvoll zu nähern, ist also nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine ethische.
Hana Usui wird 1974 in Tokio geboren und studiert schon als Kind bei bekannten japanischen Meistern Kalligraphie. 1999 löst sie sich gänzlich vom Schriftzeichen und arbeitet nur noch auf Bilduntergründen mit Tusche, sonst mit Ölfarbe. Für die Ölpausen bei „von uns“ verwendet sie eine Technik, die sie selbst entwickelt hat, die es ihr erlaubt, mit einem Schraubenzieher zu zeichnen durch festes Aufdrücken des Papiers auf eine mit Ölfarbe bestrichene Fläche, Formen zu schaffen. Usuis Arbeiten sind Teil wichtiger internationaler Sammlungen wie der der Albertina, des Museums der Moderne in Salzburg oder der Staatlichen Museen zu Berlin .
Dr. Klaus Speidel
11.10.2019, 19 Uhr
12.10.2019 - 20.12.2019