Primary Structures
„What you see is what you see.“
Frank Stella, New Art, 1966
In seinen Arbeiten untersucht Kay Walkowiak häufig die unterschiedlichen kulturellen Herangehensweisen an Kunst, wenngleich er keine Vergleiche ziehen möchte, sondern aufzeigt, dass Konzepte, die in einem Kulturraum Selbstverständlichkeiten sind, außerhalb von diesem gänzlich anders rezipiert werden. In diesem Sinne brachte Walkowiak 2014 Kunstobjekte, die vorrangig im westlich musealen Umfeld präsentiert werden, in eine Kultur mit einer gänzlich anderen ästhetischen Prägung. Er stellte während eines Aufenthalts in Indien Makaken minimalistisch bemalten Platten zur Verfügung. Die Reaktionen der Tiere auf die Werke wurden in „Stimuli“ (Full HD video | 16:9 | 2.22 min. | Color | Sound) filmisch festgehalten. Humorvoll wird damit die Wahrnehmung von Minimalismus und das Betrachten sowie Interpretieren von Kunst hinterfragt. Unter herkömmlichen Umständen wird eine distanzierte, rationale und analytische Betrachtung gefordert – ganz entgegen dem zum Teil affektgeladenen Verhalten der Affen zu den Objekten, fernab von jeglichem intellektuellen Reflektieren.
Eine Vielzahl an potenziellen Rezipienten fühlt sich durch die oftmals komplizierte wissenschaftliche Interpretation von Kunst abgeschreckt und scheut daher die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst. Walkowiak führt allerdings vor Augen, dass die Kunstwerke diese schwerfällige Interpretation nicht zwingend einfordern und ad absurdum geführt werden kann. Der Konstruktivismus der Moderne, Formalismus und Minimal Art kennzeichnen sich unter anderem durch geometrische Gestaltung ohne Bedeutungsebenen. Trotzdem ermutigten die Formen den Betrachter metaphysische Ebenen zu generieren. Die Form wurde als Ausdruck des Intellekts genutzt, um das Vereinfachen im Nachhinein wieder mit Bedeutung zu versehen. Walkowiaks Kritik setzt an diesem Punkt ein. Daher entwirft er Kunstobjekte, die nichts außer sich selbst repräsentieren.
Diesem Gedanken folgend verwendet er in seinen Kunstwerken gerne geometrische Elemente, weil die Form lediglich ein Prinzip ist, allerdings keinerlei Bedeutung transportiert. Trotzdem ist der Betrachter in Versuchung Inhalte in die Geometrie zu projizieren. Diesen Aspekt des konstanten Verlangens Bedeutung zu suchen legt Walkowiak schonungslos offen.
Hierauf basieret die serielle Arbeit „Primary Structures“ (Archival pigment print on Fine Art Photo Rag). Das Performative in „Stimuli“ wurde durch Schwarz-Weiß-Fotografien dokumentiert. Die Kompositionen sind mehrteilige Kunstwerke mit regulierten Abwandlungen. In einer akademischen Bildbetrachtung würde sich die geometrische Form des Quadrats regelrecht quälen lassen. Ein quadratisches Bildfeld ist gleichmäßig unterteilt: Zwei farbige Flächen und eine Fotografie sowie ein ungefülltes Quadrat gliedern jedes Werk. Diese Teile sind konstant, werden lediglich durch die Veränderung der Anordnung akzentuiert. Jedes Quadrat in den einzelnen Arbeiten kann autonom betrachtet werden. Aus kunsttheoretischer Sicht stellt sich die Frage, ob und wie die farbigen Flächen erlebt werden sollen – als räumliches Konstrukt? Dies gelingt zumeist durch die Kontrastwirkung von Farben, deren Dynamik vielleicht sogar Emotionen erzeugen. Allerdings können durch die Anordnung der hier auftretenden Farbflächen keine Tiefe oder sogar Raum erzeugt werden. Wohl ganz im Sinne des Künstlers misslingt die Suche nach einer Metaebene der Farbkompositionen. Die drei bedruckten Quadrate sind in ihrer Zahl eine Reflexion auf die dreigeteilten Platten mit denen die Makaken auf den Fotografien hantieren. Das fehlende vierte Bildelement emanzipiert sich aus dem Gefüge der anderen Flächen und nimmt als Negativform einen Gestaltungscharakter ein; Es ist sowohl ein quadratisches Loch in der Komposition, als auch eine quadratische Fläche.
Alle Einzelarbeiten in „Primary Structures“ bilden einen vollständigen Gedanken. Die Serie wird vom Betrachter wie eine Erzählung gelesen – das performative Moment dringt hierbei erneut durch. Die farbigen Flächen stehen mit den Schwarz-Weiß-Fotografien in formaler Beziehung: Der Affe ist der Rezipient des Kunstobjekte in der Fotografie. Der Betrachter von „Primary Structures“ selbst, kann diesen Moment zusammen mit den farbigen Flächen wahrnehmen, die ihn – ebenso wie die Tiere – zum Konsumenten dieser gegenstandslosen Werke werden lassen und gezwungenermaßen seine derzeit stattfindende Handlung hinterfragt.
Lucia Klee-Beck
05.04.2019, 19 Uhr
05.04.2019 - 09.06.2019
05.06.2019, 19 Uhr