RECONFIGURATIONS
Die Arbeiten von Sophie Dvořák lösen geografische Landstriche und Areale aus ihrer kartografischen Verfasstheit und fokussieren einstige landvermesserische Darstellungen als farbliche Versatzstücke, die neu konfiguriert werden. Minutiös sezierte Elemente werden in Collagen zu neuen Konstellationen zusammengefügt, deren geflechtartige Strukturen als Matrix verfremdeter Visualisierungsmodelle dienen und an Variablen einer virtuellen Welt erinnern. Dvořák hinterfragt die Existenz von kartografischen Darstellungsmodi als „Master Narrative“ einer geglaubten Weltvermessung sowie die inhärenten subjektiven Perspektivitätsmomente, die einem konstanten, historisch und technisch bedingten Wandel unterworfen sind.
In Anlehnung an Fredric Jameson’s postmodernes und postindustrielles Subjekt, das durch einen ständigen Ortswechsel einen Verlust traditioneller Kartografien erfährt, beschäftigt sich Dvořák mit jenem Erfahrungshorizont, der das einstige Lesen von geografischen Karten obsolet erscheinen lässt und translokale Erfahrungen in den Vordergrund der Debatte rückt, die zu einem neuen Mapping von Terrains führen, das nicht nur geografisch, sondern vor allem kognitiv angelegt ist. „Under Construction – Atlas van Europa en de Werelddelen”, eine Arbeit aus 2016, nimmt einen niederländischen Atlas „von Europa und den Kontinenten“ aus dem Jahr 1967 als Ausgangspunkt, um unterschiedliche Farbflächen daraus zu extrapolieren und diese in das Format der Collage zu übertragen. Die rhizomatische Anordnung der einzelnen Flächen und Gebiete lässt nach wie vor Grenzen erkennen, die jedoch aufgelöst ins Nichts zu driften scheinen. Ähnlich der Polarkreise, wo sämtliche Spuren zu verwischen drohen, thematisiert Dvořák Momente einer geopolitischen Realitätsverschiebung. Auf historischer Ebene handelt es sich bei diesem Atlas um eine Weltsicht aus der Zeit des Kalten Krieges, die längst als überholt geglaubt gilt. Was bleibt ist eine kognitive Vorstellungskraft, die zweidimensionale Kartografien nicht länger einzulösen vermögen. Diese wurden spätestens seit Modulen wie Google Earth um eine Dimension erweitert, wodurch der Übergang zwischen realen und digitalen Bildwelten zunehmend problematisiert erscheint.
Sophie Dvořák nimmt sich jener Problematik einer kartografischen Bildsymbolik an und erweitert diese künstlerisch im Ausstellungsraum. In „Reconfigurations“ verhandelt sie vor allem grafische Elemente und Farbgebungen, wie sie einst in Atlanten zu finden waren. Dem niederländischen Atlas ist ein Raum mit Collagen, einem Holzobjekt und zwei Gipsplatten gewidmet. Die gelbe Anordnung verweist auf selbige Flächen im Atlas, die weiter abstrahiert und aus ihrer Zweidimensionalität entnommen werden, da die Ansichten letztendlich auf dreidimensionale Strukturen rekurrieren. Im zweiten Raum wird ein bildlicher Ausschnitt aus dem europäischen Grenzterritorium Richtung Osten vergrößert an die Wand affichiert und zwei Collagen darüber montiert. Der Verweis auf geologische Schichten wird hier offensichtlich, andererseits versucht die Künstlerin skizzenhaftig einzugreifen, um den Kartencharakter zu reduzieren und schließlich in Flächen und Farben aufzulösen. An der gegenüberliegenden Wand befindet sich eine Rasterstruktur, die einem Kartenmesser entnommen wurde, der zum Bestimmen und Eintragen von Koordinaten mit Winkel und Neigungen dient. Dazu gefügt werden grafische Darstellungen, die mathematische und geometrische Methoden der Kartenprojektion aufgreifen. Dvořák changiert hier zwischen Faktizität und Visualität, die als künstlerisch verhandelte Tropen in den Bildraum übertragen werden. Damit führt ihre Arbeit zu einer Kontemplation von Momenten einer Wirklichkeitsdebatte, die stets einer visuellen Definitionsmacht unterliegt. Statistische und systematische Messfehler müssen hier ebenso berücksichtigt werden wie deren visuelle Interpretation in einer künstlerisch-diskursiven Welt.
Walter Seidl
11.01.2020 - 01.03.2020